TAUSCHBÖRSE DER ERINNERUNGEN (2012)

1. Dezember 2012, Kampnagel Hamburg

„Uns trennt von Gestern kein Abgrund, sondern die veränderte Lage.“ Alexander Kluge

Im Rahmen ihrer Uraufführung „NUSSKNACKER“ am 12.12.2012 erforscht Antje Pfundtner in Gesellschaft das Erinnerungsvermögen des Körpers und befasst sich mit dem choreografischen Spielraum, den die Vorstellungen von einem tradierten Werk und die inszenatorische Aneignung vorgeben.

Zur Erweiterung ihrer Recherche zu heutigen Methoden der Vergegenwärtigung veranstaltet die Kompanie, weit über den Tanz hinaus, eine „TAUSCHBÖRSE DER ERINNERUNGEN“, bei der Expert*innen zusammenkommen, um interdisziplinär über die heutigen Funktionen und Strategien des Erinnerns zu diskutieren.

Im letzten Stück von Antje Pfundtner mündete ein auf der Bühne geführtes Zwiegespräch über die Unvereinbarkeit von Erinnerungen in ein zwölfminütiges Tanzduett, das sich mit großer Leichtigkeit über das insistierende Gedächtnis der beiden Tänzerinnen hinwegsetzte. Aus dem nicht zu erreichenden Konsens zwischen der Aussage „Ungefähr so muss sie es gemacht haben“ und der Antwort „Ich erinnere das anders“ wurde eine gemeinsame Choreografie, deren Dynamik jedes auf Richtigkeit beharrende Erinnern im Hier und Jetzt der Bewegung vergessen machte.

Vorweg die Erinnerung an eine Inszenierung, um zur Kernfrage des Symposiums zu gelangen: Wie bewegen wir uns zwischen dem Vergangenen, dem Gegenwärtigen und den Zukunftsprognosen? Und wie können wir uns auf unsere Erinnerungen stützen, wenn sich uns bereits die eigene Gegenwart oftmals entzieht?

Heutzutage wird, hinsichtlich der weit verbreiteten Frage nach unserem Verhältnis zur Geschichte, das Erinnern zunehmend zum populären Thema. Der Ruf nach Erinnerungskultur wächst, und mit ihm drängt sich die Diskussion auf, in welchem Gedächtnisraum wir agieren. Während die Zeitzeug*innen des Zweiten Weltkrieges aussterben, tritt an die Stelle individueller und unmittelbarer Erinnerung eine kulturelle Form der Memoria. Gleichzeitig wachsen Generationen heran, die sich mit den Anforderungen und den Folgen der Modernisierung konfrontiert sehen. Der tiefgreifende Einschnitt durch Globalisierung, Klimawandel und Finanzkrise desorientiert und fördert die Sehnsucht nach Rückbesinnung und Nostalgie.

Welche Form der Orientierung braucht also die Gegenwart, um eine Grundlage für gegenwärtiges und zukünftiges Handeln zu schaffen, und welche Rolle spielt dabei das Erinnern? Die „TAUSCHBÖRSE DER ERINNERUNEN“ versammelt Kulturtheoretiker*innen, Gedächtnisforscher*innen, Geschichts- und Tanzwissenschaftler*innen, Künstler*innen und weitere Experten*innen, um Modelle sozialer, politischer und kultureller Erinnerungsmethoden zu diskutieren und in unterschiedlichsten Formaten zu erproben.

Wie werden wir aufgefordert, zu erinnern? An wen geht der Auftrag? Wohin mit den Mechanismen der Idealisierung? Wo werden Erinnerungen abgelegt? Und was ist davon unser Erbe?

Von: Anne Kersting und Antje Pfundtner
Mit: Jenny Beyer, Verena Brakonier, Dani Brown, Francis Christeller, Michael Hess, Sven Kacirek, Anne Kersting, Sabine Kohlstedt, Yvonne Marcour, Antje Pfundtner, Matthew Rogers, Regina Rossi, David Vossen, Katharina von Wilke, Theresa Willeke und den Gästen der Kompanie
Projektkoordination: Lina Klingebeil

Eine Veranstaltung von Antje Pfundtner in Gesellschaft und DepArtment in Koproduktion mit Kampnagel Hamburg. Gefördert von: TANZFONDS ERBE – Eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes und Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg.

Fotos

Fotos: Simone Scardovelli